Literatur über Gottfried Mairwöger

Herbert Lachmayr über Gottfried Mairwöger

 

Sich auf ein Bild einlassen heißt auch, die plötzlichen Vorstellungen zu ästhetischen Inhalten gegen ein freies Illusionieren aufgeben zu können. Illusionierbarkeit am „ästhetischen Schein" des Kunstwerks — als die unwillkürliche Bewegungsmöglichkeit betrachtender Phantasie — beschreibt die Durchlässigkeit wie die Widerständigkeit eines Bildes für und gegen die fixierende Wahrnehmung. Dieser Prozess findet nach Vorgabe eines Settings von Form, Farbe und Textur im Bild zur Inszenierung von Phantasien statt. Um wortwörtlich im Bilde zu bleiben, müssen zum Beispiel Begrenzungen in der Fläche sich zugunsten der Raumtiefe entgrenzen lassen. Orientierung im Terrain des Illusionierbaren von Malerei scheitert bisweilen an jenen Projektionen und Vorstellungen, die — zur Verständnisbrücke montiert — eher die Distanz von Bild und Betrachtenden verewigen statt überwinden.

 

Naturgemäß bietet abstrakte Malerei weniger Anhaltspunkte für Bedeutungsfixierungen als die sogenannt gegenständliche, der Wunsch der Betrachtenden, etwas zu identifizieren perseveriert allerdings als Erwartungshaltung, deren Enttäuschung oft als Schwierigkeit beim Verstehen abstrakter Kunst angesehen wird. Sie entzieht sich tendenziell dem Hang zur Literarisierung, sie sperrt sich gegen das Hineinlesen von Geschichten und präsentiert sich als Situation eigensinniger Farbe. Abstrakte Bilder inszenieren ein Spannungsgefüge von Farbvolumina und Texturdichte, stellen sich als komprimierte oder weitschweifige Bewegungsgesten dar. Die Komposition intensiver wie pastoser Farbkörper vermittelt sich als gleichsam schwebend-räumlich, aggressiv wie verschmelzend, widerständig wie flüchtig. Die immanente Stimmigkeit eines abstrakten Bildes kann darin zum Ausdruck kommen, dass die Dynamik der Komposition keinen graphischen Raster erkennen lässt, in welchem die Farben gewissermaßen montiert erscheinen. Andererseits mag eine, sich aus Kontrasten ergebende graphische Struktur die Transparenz des Räumlichen im Bild verstärken, ihm „Beschleunigung" geben oder in ein Moment der Erstarrung fixieren. Daran mögen die emotionalen Phantasien des Betrachtenden sich binden, indem das Bild heranführt an den Akt seines Entstehens — das Malen. Die Arbeiten von Gottfried Mairwöger vermitteln langjährige Erfahrung im Metier des „abstrakten" Malens. Sie zeichnen sich aus in der Konsequenz einer künstlerischen Position, die sich beharrlich an einer ästhetischen Problemstellung abarbeitet, nicht irritiert vom Sog der Trends.

 

 

Die Aktualität seiner Arbeiten verdankt sich auch dem hohen technischen Niveau, zwar den Mitteln des abstrakten Malens treu zu bleiben, aber dennoch das Terrain der Ausdrucksqualitäten zu erweitern. So gelingt ihm eine Imagination authentischer Lebendigkeit als differenzierter Ausdruck emotionaler Präsenz, ohne aber den analytischen Blick einer durch Präzision geschulten Wahrnehmung zu verschleiern. Dabei bedarf er keiner spiritualistischen Tiefgründigkeit, zum Meditativen gibt es kein Augenzwinkern. Da ist keine quasi symbolistische Doppelbödigkeit, die auf einen hinteren eigentlichen Sinn hindeuten möchte. Es findet aber andererseits auch keine Reduktion auf „Exaktes" statt, die in puristischer Abstinenz vom Affektiven auf etwas Prinzipielles und im schlechten Sinn „Abstraktes" schielt. Mairwögers Entwicklung von großen homogenen Farbflächen und pastosen Schichtungen, die die frühen Arbeiten des Schülers Holleghas durchaus als eigenständig charakterisieren, bis hin zu den energischen Arbeiten der letzten Zeit sind weder bloß ein nach innen gerichteter Prozess, noch verkörpern sie die Tendenz jener so absichtlich mit Vordergründigkeit kokettierenden Mode einer gespielten Beliebigkeit. Sicherlich intensiviert sich in seinen letzten Bildern persönlicher Ausdruck als individuell-emotionale Handschrift, die aber nicht auf Kosten eines dekompensierten Gestaltungsbewusstseins geht. Die konzentrierte Dichte des Großformats wird als Spannungszustand im Detailbereich durchgehalten, so dass ihm der Ausdruck des persönlichen Eigensinns nicht in jene große Geste entgleitet, die dann letztlich als ein Etikett „neuer Oberflächlichkeit" ihre Rettung in jener Selbstironie sucht, wo technisches Unvermögen durch gespieltes Pathos sich lässig zu kaschieren sucht. Diese Kunst braucht keine biographischen Exhibitionismen, um zu interessieren, und auch keine „Ideologie der Ideologielosigkeit" — die erst recht eine ist —, um das Scheitern vor der professionellen Aufgabe des Malens mit dem Markenzeichen „Wir sind so frei" abzudecken, als wäre das wirklich etwas Besonderes.

 

 

 

HERBERT LACHMAYER

 

 

 

Wien 1986