Literatur über Gottfried Mairwöger

Dieter Ronte - Gottfried Mairwöger oder von dem eigenen Ich als Abstraktum

 

TU FELIX AUSTRIA

 

 

Der Aufbruch Österreichs in die Abstraktion der Nachkriegszeit ist sehr zögerlich gewesen. Viele Künstler haben diesen Schritt versucht, um ihn dennoch immer wieder zurückzunehmen. Am auffälligsten vielleicht sind die Proportionsstudien ARNULF RAINERS aus den Jahren 1954-56, die eine erneut einsetzende Gegenständlichkeit, auch die der Übermalungen, nicht verhindert haben. Dieses gilt auch für JOSEF MIKL, MARKUS PRACHENSKY und WOLFGANG HOLLEGHA, dem Lehrer von GOTTFRIED MAIRWÖGER. Der letzte Schritt in die Abstraktion, wie sie GEORGES MATHIEU im Jahre 1962 in der Galerie Nächst St. Stephan praktizierte, war nicht die österreichische Art, seinen eigenen Empfindungen und Vorstellungen Ausdruck zu geben.

 

 

Wenn MATHIEU, analog zu dem Domprediger von St. Stephan, MONSIGNORE OTTO MAUER, sehr viele theoretische, verbale und schriftliche Äußerungen von sich gegeben hat, so bleiben diese in der österreichischen Kunstszene aus. Österreich ist nicht das Land der Manifeste. Die Ausnahme ist, wie immer, der politische Realist ALFRED HRDLICKA, die Vor-Aktionisten mit dem Manifest »Die Blutorgel« [1961] oder die österreichische »Exilregierung« in Berlin [Pinturarium, Schaßtrommel]. Der Künstler, der politisch argumentiert, muss auch schreiben, erklären, kunsthistorisch theoretisieren, um sein Oeuvre zum Überleben zu bringen, denn es agiert nicht zum Gefallen sondern zur Verunsicherung.

 

Bei den sogenannten Abstrakten als »non representational painters« stellt sich die Frage anders. Nicht gesellschaftliche Relevanz ist gefragt, wie es Ende der sechziger Jahre immer wieder formuliert wurde, auch nicht gesellschaftliche Irrelevanz. Nur die Fragen wurden wichtig, die den Einzelnen betreffen, den Maler als Individuum und seine Einbringung in die Kunst des l'art pour l'art. Eine ich-bezogene Kunst, die über sich selbst erzählt ohne narrative Strukturen, die sich selbst reflektiert. Diese abstrakte Malerei, auch gerne im französischen Nachvollzug informel genannt, bewegte seit der Mitte der fünfziger Jahre die Gemüter der Kunstszene.

 

 

Diese alte und neue Position, die durch den Nationalsozialismus empfindlich bis zum Abbruch durch Verfolgung gestört wurde, zumindest in Deutschland und in Österreich - bis hin zu den Folgen in den Akademien und den Professoren und ihres sich selbst Durchreichens - ging letztlich auf den Beginn des letzten Jahrhunderts zurück, auf WASSILY KANDINSKY, FRANTICEK KUPKA, WOLS, HANS HARTUNG usw. Die Vorkriegszeit bedingt diese neue Position, die erst mit Verzögerung nach 1945 wieder frei und kreativ ausgeschöpft werden konnte.

 

In dieser neuen Setzung sehen sich auch die österreichischen Künstler der Galerie Nächst St. Stephan, also jene, die nach HERBERT BÖCKL, nach der Kärntner Schule der gegenständlichen Farbmalerei, sich in Wien kristallisieren. Viele hatten Vorläuferstadien in Innsbruck, also dort, wo das Französische Kulturinstitut in der Nachkriegszeit die ganz frischen Informationen aus Paris über den französischen Tachismus als visuellem Existenzialismus nach Tirol transportiert. Aber diese Informationen verblassen jenseits der Grenze der Teilung, jenseits der Enns.

 

 

 

Die Angst vor der Abstraktion und ihrer Theoriebildung ist in der Nachkriegszeit Österreichs das realistische Gegenmodell zur Parallelaktion von ROBERT MUSILS »Mann ohne Eigenschaften«. Für diesen Roman, in dem es immer wieder um realistische Schilderungen geht und auch um höchste Abstraktionen der Erkenntnis, der Gefühlswelt, der Kälte, des Designs, des Städtebaus, der Malerei usw., mit allen impliziten Zügen der Ablehnung, findet sich im Wien nach 1950 keine bildnerische Nachfolge. Es gibt die so genannten Abstrakten, es gibt ihre Hinwendungen zum Gegenstand, es gibt ihre Absagen an einen idealisierenden Realismus, aber es gibt auch ihre Hinwendung zu einem expressiven sozusagen barocken Abstraktionismus, der die physisch-gestischen Probleme mehr betont, als bildimmanente ikonographische Inhalte.

 

 

Besonders deutlich wird dieses bei MAX WEILER, aber auch bei anderen wie den Bildhauern FRITZ WOTRUBA und ANDREAS URTEIL. WEILER und PRACHENSKY sind lnnsbrucker, sozusagen Tiroler, die diese frühen Informationen hatten, wie auch OSWALD OBERHUBER, der in jenen Jahren sehr abstrakte Bilder gemalt hat, aber nach dem Prinzip der stetigen Veränderungen sich wiederum einer darstellenden Malerei und Skulptur gewidmet hat [als große Ausnahme ist er ein permanenter Manifestant].

 

Was sich in Österreich Ende der vierziger-, Anfang der fünfziger- bis sechziger Jahre ereignet hat, ist bis heute eigentlich so nicht aufgearbeitet worden. Die versuchten Darstellungen sind trockener Natur, sie gehen nicht auf die Emotionalität dieses Landes ein, das als Land mit den „vier im Jeep“ eine Republik mit halbierter politischer Unfreiheit war. Eine Besatzung, die im „Dritten Mann“ mit ORSON WELLES seine Fluchtpunkte markiert. Diese Erfahrungen werden nicht aufgearbeitet. Doch die Vorgaben des Auslandes werden gerne akzeptiert als Optionen, aber immer mit der rhetorischen Dialektik eines MONSIGNORE MAUER, der die Abstraktion zur Epiphanie schlechthin erklärte.

 

 

 

Das Klima ist positiv für die bildenden Künste, denn das Land ist katholisch. Es ist nicht ganz ungefährlich, denn es ist auch immer noch von jesuitischen Doktrinen bestimmt. Diese Probleme spiegeln sich erst sehr viel später in den achtziger und neunziger Jahren im katholischen Bereich selbst, also innerhalb der Kirche wider. Sie werden vom Wiener KARDINAL KÖNIG positiv im Sinne demokratischer Prozesse gelöst. Das Gesetz der Freiheit der Kunst wird erst in den achtziger Jahren verabschiedet, in wichtigen biografischen Jahren Mairwögers. Die Kunst trennt sich bis dahin längst von dieser Einordnung im Sinne der Verortung. Galerien nehmen das Programm der Künstler auf, sie werden gefördert. Der Staat setzt sich massiv für bildende Künstler ein, sie werden international. Das gilt für MONSIGNORE MAUER und seine Gruppe, für JOSEF MIKL, ARNULF RAINER, WOLFGANG HOLLEGHA, MAX WEILER usw. Dass die Geschichte des Galeriewesens dabei nicht im Sinne von political correctness verläuft, verwundert nicht, denn die kommerziellen Überlegungen der Galerien in diesen Jahren eines schwierigen Landes, sind nach eigenem Verständnis als Informationsgalerien ausgerichtet; bis die Galeristen lernten, dass man als Galerie Kunst verkaufen muss und nicht als Selbstzweck informiert.

 

 

BIOGRAFIE            

                                    

 

Diese Zeilen sind vielleicht nicht ganz unwichtig, wenn wir die Position von GOTTFRIED MAIRWÖGER verstehen wollen. Er gehört als Schüler von MIKL und HOLLEGHA zur zweiten Generation nach den großen Abstrakten der klassischen Moderne. Seine Aufgabenstellung als junger Künstler, nach den Naturstudien, die er an der Akademie betreiben musste, haben ihn in eine extreme Position gebracht, die er als nachfolgende Generation erkennen musste; im Sinne des Wunsches, jene Träume Wirklichkeit werden zu lassen, die seine Lehrer hatten. Dies ist keine consecutio tempore als logische Folgerung, aber doch eine Selbstbestimmung im Sinne der eigenen Biografie. Das heißt nicht, dass er sich selbst aufgibt, um anderen zu folgen, sondern ganz im Gegenteil. Er sieht, wo sich die Lehrer selbst limitieren, um deren Grenzbereiche zu überschreiten. Er spürt, dass in ihm die Kraft liegt, diese peripheren Orte aufzusuchen, die das Unbekannte suchen, so wie es BLAISE PASCAL in einem Diktum formuliert hat: »Unser Wissen gleicht einem Kreis, je größer der Radius, desto größer werden die Berührungspunkte mit dem Unbekannten«. So wie ich Mairwöger immer verstanden habe, ahnt er auf seiner Suche nach sich selbst diese tangentialen Optionen. Mairwöger scheut sich nie, große Schritte zu wagen.

 

 

EGO

 

 

Es wäre unfair, in diesem Dialog zu vergessen, dass das komplizierte Ego von Mairwöger sein eigentlicher Antrieb ist. Diesem verdankt er seine Ablehnung, seine Komplikationen, seine Trennungen, seine Vorwürfe, seine Verdammungen; aber auch seine Bewunderungen, seine Befriedung mit sich selbst, seine ewige Suche nach dem authentischen eigenen Ausdruck.

 

Mairwöger ist widersprüchlich als Mensch. Er bleibt sehr differenziert als Künstler. Er ist aber von einer großen autonomen Eigentlichkeit und von authentischer Identität im Fluss seiner Malerei. Nur in ihr kann er sein eigenes Konfliktpotenzial auflösen zugunsten von farbigen Formfindungen, die fließend Probleme überspielen.

 

Mairwögers Malerei ist eine typische Ich-Identitätskunst. Nur er bestimmt die Emotion als Ausgangspunkt für die neue Kreation, nur er bringt sich ein. Er malt seine psychischen Notationen, er argumentiert aus dem Moment des Malens heraus, weil der Malakt wichtiger ist als das, was vielleicht darzustellen ist. Die Malerei wird immer persönlicher. Mairwöger kann sich nicht wie seine Lehrer distanzieren, kann etwas erstellen, erarbeiten, ein Problem untersuchen, eine Serie gestisch aufarbeiten. Er wird als Künstler immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen, um das formal auf der Leinwand und in einigen hinreißenden Skizzen auch darstellender Natur zu repräsentieren. Die Bilder von Mairwöger sind die Repräsentanz seiner selbst.

 

Mairwöger ist jener Maler, der jenseits von Fotos und Videos seine Eindrücke im Bild erleben lässt. Er sucht das Fremde auf, andere Aufenthalte, die sein Leben neu definieren. Er sucht die Ahnungen der Welten. Auf der sehnsuchtsvollen Fahrt des Lebens findet er Stationen, die ihn erfüllen, die wir manchmal Himmel auf Erden oder Erde im Himmel nennen. In seinen Abstraktionen begegnen wir uns selbst und wir erfahren die Fülle und die Strahlkraft seiner Farben. Wichtig werden die Erfahrungen mit der amerikanischen Farbfeldmalerei, mit MORRIS LOUIS, HELEN FRANKENTHALER, KENNETH NOLAND; die Erfahrung, Farbe beim Malakt agieren zu lassen, sich ihr als bestimmender Künstler zu unterwerfen.

 

 

VISION

 

 

Im Gespräch auf Schloss Murau, wo Mairwöger ebenso wie in Wien arbeitete, sagte der Künstler mir im Jahre 1985, dass es schwierig sei, von ihm ein Porträt zu fotografieren. In diesem Satz steckt mehr als die Verweigerung des Fotografierens der Oberfläche eines Gesichtes. Sie ist das Suchen nach einer Einheit, die sich nicht in der Abbildung realisiert, sondern in der Idee von etwas. Mairwöger zielt immer hinter die Epidermis. Er zeigt innere Erregungen, Malzustände als Manifeste formaler Optionen. Seine Bilder sind nicht unkontrolliert orgiastisch ä la HERMANN NITSCH. Sie sind verhaltene Eruptionen als gezügelte Explosionen. Mairwöger ist mild und wild, in den Bewegungen als Person selbst aber langsam und bedacht. Der Künstler hat eine »innere Vision« (NOVALIS), die sich in seinen Bildern zeigt. Nicht Abbildung, nicht die Schilderung von Modellen, nicht die politische Aussage oder die Schilderung von Ereignissen prägen sein Kunst-Wollen: sondern Stimmungen, existenzielle Schwankungen, psychische Notierungen, Erlebnisverarbeitung von höchstem Abstraktionsgrad. Mairwögers Malerei tendiert zur Philosophie in Farbe, zum eigenen Ich als abstrakte Struktur. Nicht theologische Bindungen, sondern die teleologischen (ALOIS RIEGL) prägen seine Kunstwerke.

 

Diese bildnerische Philosophie entsteht nicht durch Analyse oder mathematische Vorgaben, wie sie die Züricher Konstruktivisten wie Max BILL usw. betrieben haben. Sie ist nicht Belastung des Herzens durch Gegenstände der Erinnerungen im Sinne von SIGMUND FREUD, sondern eine Liebeserklärung an unsere Welt. Mairwögers Malerei ist immer primär Hoffnung. Seine gemalten Hommagen an das Irdische sind heiter oder trist, sind aufrührerisch oder melancholisch, sind akzentuiert oder zurückgenommen, verhalten oder freundlich — immer sind sie human.

 

Der Künstler lässt die Ereignisse unserer Welt auf sich wirken, ohne den Zwang zu haben sie erzählen zu müssen. Mairwöger lebt deshalb isoliert in der Atmosphäre seines Ateliers, ohne sich dem Druck der Biografie und ihrer Interaktionen entziehen zu können. Seine Bilder werden mehr und mehr abstrakte Ikonen, Meditationstafeln der ästhetischen Glaubwürdigkeit, aber auch Spiegel möglicher Wirklichkeiten. Seine Bilder sind unmittelbarer Ausdruck von Erfahrungen als Belege menschlicher Existenz.

 

 

WIRKUNG

 

 

Mairwöger, so zeigt es das Interview mit ULRICH SCHALL, beschreibt sehr genau, wer seine Vorbilder sind; besonders die Impressionisten im Jeu de Paume in Paris, seine Freundschaft zu CLEMENT GREENBERG, sein Besuch bei den vielen amerikanischen Malern, sein Aufenthalt in Italien, sein neues Harmoniefinden, das außerhalb Europas so auf die Probe gestellt wurde. Er reflektiert in diesen wenigen Zeilen, die er geschrieben hat, sehr genau, was er will. Er sagt: »Eine Botschaft, die auch Menschen verstehen, die in der Kunstgeschichte nicht besonders bewandert sind. Analphabeten, die irgendwo auf der Welt meine Bilder betrachten, reagieren darauf sicher nicht nur wegen der Farbenpracht oder der Größe. Sie empfinden auch den Rhythmus, und wenn ich auch noch ihre vertraute Farbgebung getroffen habe, wenn meine Bilder die Farben ihrer Boote oder Hütten haben, dann spricht sie das sofort an«.

 

Mairwöger weiß um den emotionalen Gehalt seiner Farben, auch um die unterschiedlichen Konnotationen von Farben in anderen Kulturen. Aber er weiß durch seine naturalistischen Studien am Beginn seiner Laufbahn, dass es schwierig ist, etwas Neues zu malen (wenn man den musealen Kuratoren glaubt). Er setzt sich durch, er entscheidet, er unterscheidet sich mit seinen Bildern von den anderen. Für ihn wird das Malen Ritual, eine tägliche neue Herausforderung. Das heißt nicht, dass er sich selbst imitiert, wiederholt, sondern bedeutet Konsequenz im Sinne von Selbstverwirklichung, Selbstfortsetzung mit dem Wunsch nach einer offenen Rezeptions-struktur, die seinen Arbeiten eine politische Dimension verleiht: Kunst als demokratische Setzung eines Einzelnen und zugleich als Aufforderung an die Milliarden Einzelnen auf unserem Globus. Es ist Zeit, diesem zu früh verstorbenen Maler Österreichs durch die Öffentlichkeit einer Publikation jenes Erinnerungsfeld zu garantieren, das GOTTFRIED MAIRWÖGER längst verdient.

 

 

DIETER RONTE