Literatur über Gottfried Mairwöger

Derya Öcal über Gottfried Mairwöger

....denn nur die Liebe zählt und die Kraft, die durch sie entsteht und uns bewegt, zu etwas Höherem als wir selbst sind...,

 

kam mir in den Sinn, als ich an Gottfried dachte, während ich durch eine, unter der Sonne glitzernde und funkelnde, mit weißem, unschuldigem Schnee bedeckte Landschaft fuhr in Richtung Tragwein. Ich dache an Gottfrieds letzten Anruf aus dem Krankenhaus am 16. Oktober 2003, als er meinte, er käme am Sonntag, den 19. Oktober heim und ich ihn dann besuchen könnte, weil er nicht wollte, daß ich ins Krankenhaus komme, nicht wollte, dass ich ihn so sehe. Mir erzählte, wie er all die Besucher haßte, mir ihre Gesichtsausdrücke beschrieb und sagte, dass sie alle glaubten ihm nahe zu sein, ihn verstanden zu haben, ihn zu fühlen, doch in Wahrheit so fremd waren, so weit weg von ihm, dass er es bedauernswert fand. Mir Recht gab und meinte, dass es keine Männer mehr gäbe, dass sie alle feige wären, nachdem sich auch sein Bettnachbar einen Tag zuvor vom Balkon gestürzt hatte. Mich fragte, ob ich male und ich mit einem Nein verstummte, ich mich selbst fragte, was er sich denken würde, wenn er wüsste, dass ich wegen ihm nicht malen konnte, weil er so wütend war, geschwächt von den Medikamenten, nicht so malen konnte, wie er wollte und Angst hatte er könnte seine Gemälde nicht rechtzeitig fertigstellen.

 

Ich dachte an diesen 19. Oktober Morgen, an die ersten Schneeflocken des Jahres 2003, die so groß wie Wattebäusche vom, in viele weiße Punkte aufgelösten Himmel fielen, an diese Stimmung, an dieses Bild vor meinem Fenster, das ich stundenlang beobachtete und dachte immer wieder daran, dass Gottfried jetzt heimkommen müsste, und auf seinen Anruf wartete. Ich dachte an diesen Sonntag Mittag, an dem ich plötzlich, ein in Schnee getränktes Gemälde begann, das ich nie fertig gemalt habe. An Gottfried, der angefangen hatte, Tag und Nacht literweise starken Kaffee zu trinken, um nicht einzuschlafen. Ich dachte an diesen Sonntag Mittag, an dem ich ihn mehrmals zu Hause und am Handy anrief und Nachrichten hinterließ, er möge sich bitte melden. Ich dachte an diesen 19. Oktober Mittag, wo ich mich, an diesen leisen, weißen Flocken nicht sattsehen konnte, die wie weiße Engelsfedern herabfielen und gleichzeitig an diesen Engel dachte, den ich in einem der letzten Gemälde, die er in meiner Gegenwart gemalt hatte, entdeckt und ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. An den gelbleuchtenden Engel, den er im ersten Augenblick abstritt, doch später zugab:“ja wirklich, ein Engel“.

 

Ich dachte an den letzten Unterricht bei ihm im Atelier. An mein letztes, bei ihm gemaltes Gemälde „September“. An den Moment, wo ich wütend in den Papyrusbogen hineinpinselte, er sich mir immer wieder näherte, fast staunend jeden Pinselstrich beobachtete und meinte, auch Dürer hätte so gemalt, genau so und nicht wusste, dass mir Dürer in diesem Moment völlig egal war und ich nur so wild malte, um ihn nicht anschauen zu müssen, damit er nicht sah, wie traurig ich war und Tränen in den Augen hatte. Wie machtlos und hilflos ich mich fühlte in der Gegenwart eines Menschen, eines Menschen wie Gottfried, der wusste, dass er gehen muß, doch gleichzeitig so am Leben hing und dieses Leben mit allen Höhen und Tiefen liebte, wie niemand sonst, den ich kannte. Ich dachte daran, wie still es war, als er sich plötzlich neben mich hinsetzte und ich mich dann auch erschöpft in meinen Sessel fallen ließ, wie in diesem Moment die Sonne plötzlich unterging und wir beide mit gesenkten Köpfen auf den, in rotes Licht getauchten Holztisch starrten, auf den eine Kerze und wir unsere Schatten warfen. Keinen Sonnenuntergang hatte ich in Gottfrieds Atelier so intensiv und gleichzeitig so schön erlebt, wie diesen. Und wie er dann, nach einer verstummten Ewigkeit plötzlich sagte: “Doch einmal hätte ich mich noch gerne verliebt, noch einmal geliebt“.

 

Ich dachte daran, dass er heim kommen wollte, und wie ich dann, einen Tag später, von unserem gemeinsamen Freund Hubertus Hohenlohe, durch den ich Gottfried Jahre vorher kennengelernt, und so endlich den richtigen Meister, den richtigen Lehrer für mich gefunden hatte, erfuhr, dass er uns verlassen hatte, heim gekommen, in den Himmel gekommen war. In den Himmel, zu dem wir in unseren Unterrichtsstunden immer wieder zurückkehrten und den wir beobachteten. Wir beobachteten jede Regung, jede Stimmung, jede farbliche Veränderung, jeden Schatten und Lichtstrahl. In den Himmel, den er manchmal mit einem Pinsel in der Hand nachfuhr, um sicher zu gehen, dass ich auch sah was er mir versuchte zu zeigen, verstand was er meinte, und wie ich ihn manchmal dabei beobachtete, wie er sich dabei in diesem Himmel verlor, als würde er ihn selbst malen. Wie verlegen er wurde, wenn er sah, dass ich ihn ertappt hatte . Es waren nicht allein seine Augen. Vor allem war es sein großes Herz in dem das ganze Universum Platz hatte. Das alles sah und liebte.

 

Es war immer sehr spannend und faszinierend für mich, Gottfried beim Malen zuzusehen. Zu sehen, wie er Farbe für Farbe, Schicht für Schicht, seine Emotionen, in den intensivsten und leuchtendsten Farben auf weiße Leinwände zauberte, die er einfach fließen ließ, die ihre eigenen Formen bestimmten. Er ließ ihnen die absolute Freiheit zu sein. Er ließ die Gemälde passieren. So, wie er Menschen, Kulturen, Länder, Emotionen, die Natur, das ganze Leben, das ganze Universum und auch sich selbst passieren ließ. Alles was er sah, was er dachte, was ihn berührte und bewegte in eine Art Code, in Farben aufgeschlüsselt wiedergab, kommunizierte, Geschichten erzählte, die mich manchmal durch Lavendelfelder spazieren ließen, die unter dem französischen Himmel und unter der französischen Sonne anders leuchteten, oder die samtweiche Bräune Sri Lankas, Safrangelb Indiens oder einfach über die Welt fliegen und sehen, wie sich große und kleine Flüsse durch die Erde bohren, Sonnenblumenfelder nach der Sonne drehen.... Doch vor allem erzählte er von der Liebe. Gottfrieds Gemälde waren mehr als nur Malerei für mich. Sie waren mehr als nur Philosophie, mehr als nur Leidenschaft, mehr als nur Liebe. Seine Gemälde waren Bilder, die er seiner Seele entriß, um in unseren Herzen gefühlt zu werden. Sie waren wie eigene Kosmen, wie ein Stück Welt, ein Stück vom Himmel.

 

Ein guter Künstler muß auch ein guter Koch sein, meinte er. Er liebte es, zu kochen und war ein richtiger Gourmet. Vor allem liebte er die Französische Küche, die er manchmal à la Gottfried verfeinerte. Es gab nichts Schöneres für ihn, als seine Freunde, Menschen die er sehr mochte oder liebte, zu verwöhnen. Und für mich war es jedes Mal so, wie wenn ich heimkommen würde, wenn ich ins Atelier von Gottfried ging. Jedesmal wenn ich ankam, war alles schon vorbereitet. Die Bücher sorgfältig ausgesucht und markiert. Farbpigmente zum mischen bereit, Leinwände aufgespannt. Und während ich mich in den Büchern und Aufgaben verlor, kochte er und servierte am Ende das Essen, wie ein Kunstwerk für sich, wie ein Gemälde. Er machte mich zuerst immer auf die Farben aufmerksam, auf die Formen, auf den Duft, auf das Design und am Schluß musste ich die Gewürze und Zutaten herausschmecken. Das gehörte irgendwie zum Unterricht dazu. Er meinte, das ist so wie in der Kunst. Er meinte, so entsteht Kunst und so soll Kunst bewertet werden. Das Essen war eine Art symbolischer Akt, um zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, alle Sinne zu öffnen, bewusst zu machen, zu sensibilisieren. Er war für mich der wahre Künstler. Wie er empfand, wie er dachte, wie er lebte und liebte, wie er sich mit der Kunst auseinandersetzte und manchmal zusammensetzte. Wir philosophierten stundenlang über alles was uns bewegte, über Kunst und nicht Kunst, über Sein und nicht Sein, über das Leben, über die Liebe. Man muß sich entscheiden, hatte er immer gesagt, und dann das Entschiedene leben. Gottfried hatte sich für die Malerei entschieden, sie gelebt, geliebt und somit in der abstrakten Malerei eine neue Dimension, eine neue Bilder- und Farbensprache erschaffen. So wie sie nur Gottfried Maierwöger erschaffen konnte.

 

DERYA ÖCAL